Bisher erhielten Kinder mit Behinderungen, die nicht ausschließlich seelische Behinderungen sind, keine Leistungen der Jugendhilfe (SGB VIII). Wenn sie z.B. in eine Integrationsgruppe oder Einzelintegration einer Kita wollten, dann ging das nur nach SGB XII, der Sozialhilfe.
Seit 2009 gilt die UN-BRK in Deutschland und darin gibt es eine ganze Reihe von Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen. Z.B. einkommensunabhängige Nachteilsausgleiche und Beteiligung. Dafür soll jetzt ein „Teilhabegesetz“ geschaffen werden. Aber Kinder sollen von all dem ausgeschlossen werden „weil sie zuerst Kinder sind“ und nicht das „Stigma Behinderung“ tragen sollen, heißt es.
Ich finde das furchtbar. Es geht hier um eine Mehrfachdiskriminierung: Minderjährige Menschen haben nur sehr eingeschränkte Rechte in Deutschland (über die Berechtigung kann man sicher streiten, aber die Notwendigkeit dieser Einschränkungen sind doch individuell und je nach Lebensalter sehr unterschiedlich und die UN-KRK ist auch noch nicht wirklich umgesetzt) und eingeschränkte Rechte aufgrund ihrer Behinderungen. Ich befürchte, dass minderjährige Menschen in der Jugendhilfe von vielen Fortschritten, die die UN-BRK gebracht hat, abgeschnitten werden. Von dem Verbot stationärer Unterbringen und Zwangsbehandlung, über persönliche Assistenz, Beteiligung und Mainstreaming bis hin zu Teilhabegeld und einkommensunabhängigen Nachteilsausgleichen.
Das kleinste Übel, wenn es denn schon nur SGB VIII sein muss, wäre vielleicht noch eine sehr strikte Abgrenzung der Behindertenhilfe innerhalb der Jugendhilfe – aber das ist gar nicht gewollt. Die Ansage ist ganz klar, es soll den „kindlichen Bedürfnissen“ Rechnung getragen werden, was Sachbearbeiter im Sozialamt bisher mutmaßlich nicht schafften – gemeint ist damit aber scheinbar vor allem ein unterstelltes Bedürfnis nach „Erziehung“ innerhalb eines „Schonraums“ (= eingeschränkte Rechte), indem statt reinen Verwaltungsangestellten dann in der Jugendhilfe von Berufs wegen allzu oft pathologisierend-normierende Sozialpädagogen oder Psychologen als Sachbearbeiter eingesetzt werden. Statt z.B. die Sachbearbeiter im Sozialamt zu schulen oder vielleicht sogar Sozialpädagogen in der Eingliederungshilfe einzusetzen. Oder eben noch besser: Einfach eine passgenaue, individuelle Lösung zu suchen, statt Kinder entweder hier oder da auszuschließen. Manche Kinder haben halt mehr Bedarf nach klassischen und möglicherweise umfangreichen Nachteilsausgleichen, andere brauchen Verhaltensnormierung, wieder andere beides.
Dienstleister und auch namhafte Selbsthilfeorganisationen votieren für diese Lösung – aber für mich wirkt es alles wie ein Abschieben. Angefangen damit, dass es offenbar keinerlei Beteiligungsprozess im Vorfeld der Gesetzesänderung gibt. Ich glaube nicht, dass die Selbsthilfeorganisationen ihrem Nachwuchs damit einen Gefallen getan haben, wenn diese Organisationen jetzt nicht mindestens genauso bärenstark für die gleichen Rechte für minderjährige Menschen mit Behinderungen kämpfen, wie zuvor für sich selbst.
Und was sich auch schon abzeichnet: Jugendhilfe ist nicht umsonst vor allem für Erziehungshilfe bekannt. In Verträgen und Positionspapieren rund um Schulbegleitung zeigt sich bereits deutlich, dass Kindern mit Behinderungen pauschal ein erzieherischer Mehrbedarf unterstellt wird, während manche behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche (z.B. Assistenz und komplexe Bedarfe) nicht vorgesehen sind. Das Jugendamt hat meines Wissens auch viel invasivere Möglichkeiten an Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Minderjährigen und seiner Familie (Hausbesuch, Zwangseinweisung, Kindesentzug…), als das Sozialamt oder irgendein anderer Kostenträger der sozialen Sicherung (Leistungen kürzen), womit einer Familie ein ganz anderes Bedrohungspotential für abweichendes Verhalten gegenübersteht.
In den nächsten Tagen schreibe ich hierzu vielleicht nochmal einen längeren Beitrag und ich würde mich freuen über Belege (z.B. Gesetzestexte), die meine Befürchtungen widerlegen können, daher werde ich hier die Kommentare freischalten – ich weiß nur nicht, wie oft ich hier vorbeischauen kann.